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Lotte (Charlotte) Hahm (1890-1967)

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Die gebürtige Dresdnerin*1 Lotte Hahm gehört zu den prominenten und schillernden Persönlichkeiten der Berliner lesbisch-schwul-trans*-Subkultur während der Weimarer Republik. Als Aktivistin wird Lotte Hahm in zahlreichen Veröffentlichungen zu LSBTIQ-Geschichte erwähnt. Für diejenigen, die sich mit Berliner Subkultur der Weimarer Republik beschäftigen, ist sie keine Unbekannte.2 Nach wie vor liegt keine Biografie zu ihr vor. Im Rahmen eines Forschungsprojekts3 wurden neue biografische – private wie berufliche – Spuren erforscht. Außerdem konnten neue Erkenntnisse über das subkulturelle Wirken von Hahm rekonstruiert werden. Im Einzelnen wurden ihre beruflichen Stationen im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus untersucht.

Von Lotte Hahm sind insgesamt sechs verschiedene Fotos und Abbildungen in verschiedenen Lesbenzeitschriften überliefert, die teilweise mehrfach und meist in Verbindung mit ihren Werbeanzeigen für Lokale und/oder Klubs abgedruckt wurden. Eine Liste von Fundstellen befindet sich auf der Materialseite zu Lotte Hahm. Fünf dieser Fotos zeigen wir hier:

Lotte Hahm 1928 <br>in "Die Freundschaft" Nr. 26
Lotte Hahm 1928
in "Die Freundschaft", Nr. 26
© UB der HU zu Berlin:
Phil. Kg 1252:F4
Lotte Hahm in "Die Freundin" Cover-Ausschnitt, 1929, Nr. 1
Lotte Hahm 1929 auf dem
Cover der "Freundin", Nr. 1,
© SB Berlin: Kd1300/374
Lotte Hahm 1929 in "Die Freundin" Nr. 19
Lotte Hahm 1929
in "Die Freundin", Nr. 19,
© UB der HU zu Berlin: Phil. 9299:F4
Lotte Hahm 1930 in "Die Freundin" Nr. 40
Lotte Hahm 1930
in "Die Freundin", Nr. 40,
© UB der HU zu Berlin: Phil. 9299:F4
Lotte Hahm 1930 in "Die Freundin" Nr. 49
Lotte Hahm 1930
in "Die Freundin", Nr. 49,
© UB der HU zu Berlin:
Phil. 9299:F4

Lotte Hahm wurde als Charlotte Hedwig Hahm am 23. Mai 1890 in eine evangelische Dresdner Familie geboren: Ihre Mutter war Alwine Wagner (1866-1920), ihr Vater der selbständige Kaufmann Carl Hahm (1864-1931). Lotte hatte drei Geschwister. Nachdem die jüngste Schwester (1897-nach 1943) offenbar etwa 18 Jahre mit dem Namen Agnes Hahm gelebt hatte, wurde 1916 auf Anordnung des Landgerichts auf ihrer Geburtsurkunde vermerkt, dass sie "nicht weiblichen, sondern männlichen Geschlechts" sei und Agnes Hahm nun den Namen Joachim Karl trage.4 Über die Hintergründe lassen sich bislang nur Mutmaßungen anstellen: Es könnte sein, dass Agnes inter* geboren wurde und bei der Geburt als weiblich identifiziert bzw. festgelegt worden ist. Der Bruder könnte sich auch als trans* verstanden haben. Womöglich versuchte er ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung geltend zu machen. Die Entscheidung zur Vornamensänderung des Geschwisters von Hahm hat vermutlich ihre eigene geschlechtliche Selbstwahrnehmung beeinflusst.

Nach der Schule absolvierte sie eine Büroausbildung ("Kontoristin") und etwa 1920 machte sie sich als Inhaberin5 einer Versandbuchhandlung selbständig.6 Im selben Jahr starb ihre Mutter; kurze Zeit später dürfte Lotte Hahm in die Spreemetropole gezogen sein.

Subkulturelle Klubgründungen und Vernetzung in Berlin

In Berlin gründete sie 1926 – vermutlich im Dezember – den Damenklub Violetta. Der Klub wurde ‚Damenklub' genannt, weil spätestens in den 1920er Jahren ‚Dame' ebenso wie ‚Freundin' eine Chiffre für Lesben war.7 In den Lesbenzeitschriften warb Lotte Hahm für Veranstaltungen mit originellen Texten und lässigen Selbstporträts im Smoking und sehr kurz geschnittenen Haaren. Schon Ende 1927 wurde ihr Klub in der Zeitschrift Frauenliebe als "führende Organisation" bezeichnet.8 Auch Berühmtheiten wie die Kabarettistin Claire Waldoff (1884-1957) oder die Schauspielerin und Feministin Senta Söneland (1882-1934) sollen zu ihren Besucherinnen gezählt haben.9 Als multifunktionale Veranstaltungsmanagerin lud Hahm erfolgreich zu unterschiedlichsten Events ein: von der Mondscheindampferpartie über Saalpost bis hin zu "Mützenpolonaise" und "Windbeutelwettessen"; nicht selten war sie selbst Teil einer humorvollen Einlage.

Hahms politisch-visionäre Idee scheint gewesen zu sein, dass der Damenklub Violetta so etwas werde wie die kulturelle und politische Basis einer handlungsfähigen Bewegung, die sich für die Rechte von Lesben10 – und womöglich von ‚Transvestiten' – einsetzt. Hahm zielte auf ein breites Netzwerk von und für Frauen. Dafür schuf sie 1929 innerhalb des Damenklubs den "Korrespondenz-Zirkel", der eine Kontaktbörse betreiben sollte. Dieser Korrespondenz-Zirkel hatte Netzwerkcharakter: Durch die Vermittlung von Violetta sollte ausdrücklich "Frauen" die Gelegenheit gegeben werden, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und auszutauschen. Die Vernetzungsidee kam offenbar gut an, denn Hahm schrieb – durchaus großspurig –, dass Violetta "hunderte von Zuschriften aus allen Städten erhalten" habe.11 Teilweise reiste Lotte Hahm selbst an,12 um die Gründung vor Ort zu unterstützen und "Direktiven für die Organisation und den Ausbau unserer Frauenbewegung [zu] geben".13 Hahm wollte, dass sich mehr lesbische Klubs in verschiedenen Städten und Ländergrenzen überschreitend vernetzen und zu einer starken, handlungsfähigen Organisierung verbinden: "Nicht nur Tanz und gesellige Veranstaltungen können euch Gleichberechtigung bringen, sondern auch Kampf ist nötig, wenn ihr Ansehen und Achtung haben wollt. Kampfeslust muß eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten. Darum organisiert euch im Bund für ideale Frauenfreundschaft".14 Hahm erfand auch solidarische Praxen in der Subkultur: Umverteilung von Geld unter Lesben*. Sie erließ mitunter erwerbslosen Lesben, die in Armut leben mussten, das Eintrittsgeld und ließ ihnen manchen Party-Erlös ihres Klubs solidarisch zugutekommen.

Seit Anfang 1928 hatte der Damenklub Violetta auch immer wieder zu einer Organisierung der ‚Transvestiten' aufgerufen.15 1929 trafen sich vom Bund für Menschenrecht initiiert und von Lotte Hahm geleitet "ca. 60 Damen und Herren" zu einer Organisierungsveranstaltung.16 Über eine Gruppierung um Lotte Hahm hinaus verliefen Organisierungen jedoch offenbar weiterhin schleppend und konfliktreich. Wenige Monate später, 1930, scheint sich die Vereinigung D'Eon als Konkurrenzverein am Berliner Institut für Sexualwissenschaft gegründet zu haben.17 Diese parallele Entwicklung legt nahe, dass Lotte Hahm keineswegs, wie bisher angenommen, die Transvestitenvereinigung D'Eon gegründet hat oder mit ihr verbunden war. Die Präsenz von Trans* in der Lesbenpresse nahm trotz potenzieller Konflikte innerhalb und zwischen den verschiedenen Transvestitengruppen kontinuierlich zu. Denn Anfang 1931 gab es kaum noch einen Klub, der keine Abende für ‚Transvestiten' anbot. Diese kulturelle Repräsentation und Teilhabe war auch Lotte Hahms Verdienst.


Überlegungen zum geschlechtlichen Selbstverständnis

Ihrem subkulturellen Handeln zufolge sah Lotte Hahm sich offenbar als homosexuelle Frau und gleichermaßen als homosexueller Transvestit,18 und zwar verstanden als Frau, die Hosen und sehr kurze Haare, also insgesamt ein nicht geschlechternormenkonformes Äußeres und Auftreten bevorzugte. Die selbstbewussten Fotos inszenieren eine Form von "feminine masculinities",19 sind im Spektrum von Weiblichkeit oder von Weiblichkeiten interpretierbar und scheinen für sie ebenso Frau-‚Sein' bedeutet zu haben.20 Unklar bleibt, ob und inwieweit Hahm diese Performance, die von der stets heterosexuell gedachten Geschlechterrolle ‚als Frau' abwich, in einen Zusammenhang mit ihrer eigenen Homosexualität brachte.21 Offensichtlich ließ sie sich keine Geschlechterrollen- und spezifisch auch keine Kleidungs- oder Frisur-Vorschriften machen, sondern präsentierte sich, wie es ihr gefiel. Dabei nahm sie kontinuierlich Bezug auf ihren (selbst abgekürzten) eindeutig weiblichen Vornamen "Lotte" und verwendete z. B. die Begriffe "Leiterin", "Freundin", "Damen" und "Frauen". Das lässt es zweifelhaft erscheinen, dass Lotte Hahm keine Geschlechtsidentität als Frau hatte. Ihre politisch emanzipatorischen Texte weisen sie als feministisch denkende Person aus. Gleichwohl finden sich vereinzelte Abweichungen: Einmal unterschrieb sie mit "Lothar Hahm",22 also einem männlichen Vornamen, und zweimal im Zuge der Werbung für die Mondschein-Dampferfahrt mit "Kapitän"23 sowie "der Konferencier L. Hahm"24. Jene Quellen verweisen jedoch ebenfalls eher auf feministisch-lesbische Aneignungen von männlichen (Berufs-)Rollen bzw. Autoritäten ("Kapitän", "Konferencier") bzw. Zuschreibungen.

Zwei engagierte Subkultur-Aktivistinnen: Lotte Hahm & Käthe Fleischmann

Lotte Hahms damalige Lebenspartnerin war die Gastronomin und Lokalinhaberin Käthe Katharina Fleischmann (1899-1967).25 Fleischmann hatte ab 1930 die entsprechenden Räumlichkeiten gemietet und sie Hahm zur Verfügung gestellt.


Käthe Fleischmann, E-Akte, LABO Berlin
Käthe Fleischmann, LABO Berlin

Mit Fleischmanns Hilfe wurde Lotte Hahm selbstständige Betreiberin von Lesben-Bars. Damit war Hahm nicht länger ‚nur' die Leiterin eines Klubs, die temporär Nutzungsrechte von Räumlichkeiten mit den jeweiligen Gaststättenbesitzer*innen aushandeln musste, die oft heterosexuelle Männer waren. Nacheinander eröffnete sie die Monokel-Diele (März 1931) und die Manuela-Bar (Februar 1932).


Hahm war es wichtig, eine offene Atmosphäre zu schaffen und möglichst viele zu erreichen, auch isoliert lebende Lesben: "In meinen Klubräumen (...) werde ich dafür sorgen, daß sich alle Freundinnen wohlfühlen, daß man Gelegenheit hat über alle Fragen die uns besonders interessieren, zu sprechen und nicht zuletzt werden die Einsamen unter uns Unterhaltung finden, durch ein nettes Kabarett und andere Überraschungen".26 Hahm schuf nicht nur kontinuierlich zugängliche Anlaufstellen, sondern sorgte auch für etliche Arbeitsplätze – sowohl im Bereich des Gaststättengewerbes als auch für Künstler*innen aller Art.


Bestätigungsschreiben für Walt Carmer
2 Bestätigungsschreiben für Walt Carmer
© Sammlung Sternweiler, Schwules
Museum, Berlin
"Herr Walfried Kamer hat uns heute mit
seinem Tanz sehr nett unterhalten
und hat viel Beifall gefunden",
am 2.6.1928 "LH" [Lotte Hahm];
– "Wir bescheinigen hiermit, daß Herr
Walfried Carmer mit seinen
Tanzvorführungen großen Erfolg hatte
und wir mit seinen Leistungen sehr
zufrieden waren
– Dezember 1927, i. V.
Tanzklub Violetta – LHahm"

So arbeiteten in Lotte Hahms Auftrag neben vielen anderen auch der Grotesktänzer Walt Carmer (1900-1998, auch: Walfried Ka(r)mer), die Ausstatterin* Toni Ebel (1881-1961),27 die Vortragskünstlerin Lola Gray (geb. 1893), die Schriftstellerin und Kunsthandwerkerin Elsbeth Killmer (1890-1957), die Kunstpfeiferin Lea Manti (1886-1960)28 sowie die Unterhaltungsmusiker Siegfried Robert (geb. 1903) und Walter Rosen (1903-1943).29


Denunziationen, Schließungen, Neugründungen

Die Freude von Hahm und Fleischmann über die gemeinsamen Errungenschaften währte nicht lange: Bereits ab Herbst 1932 randalierten Männer der nationalsozialistischen SA in den Lokalen von Käthe Fleischmann. Weil Juden und Jüdinnen im NS-Regime entrechtet und verfolgt wurden, war schließlich auch Fleischmann gezwungen, ihre Schankgenehmigung und andere Besitztümer mit großem Verlust zu verkaufen.

In der nationalsozialistischen Diktatur wurden 1933 die Zeitschriften der homosexuellen Bewegung sowie deren Subkultur verboten; nicht geschlossene Subkulturorte dienten der Überwachung. Manche Gruppen trafen sich heimlich und unter anderem Namen weiter: So machte Lotte Hahm aus dem Damenklub Violetta kurzerhand den Sportklub Sonne und engagierte sich mindestens Ende 1934/Anfang 1935 als Vorsitzende für dessen Fortbestehen.30 Jedenfalls organisierten sie, Fleischmann und andere weiter heimlich Tanzabende für Lesben und Trans*(vestiten). Durch Denunziation31 erfuhr allerdings die Polizei 1935 davon, die mit Hilfe von Überwachung, Razzien und Verhaftungen die Treffen kontrollierte. Nach dem Verbot des Klubs ging die erfinderische Lotte Hahm neue Wege: Sie eröffnete auf der kleinen und abgeschiedenen Ostseeinsel Hiddensee eine Pension – vermutlich für Lesben. Zudem verdingte sie sich 1937 im Großraum Berlin als Händlerin für Textilwaren. Die Geschäfte liefen aber nicht wie erhofft und sie prellte den von ihr angeheuerten Fahrer um seinen Lohn. Er verklagte sie wegen Betrug und führte gegenüber der Polizei Informationen an, die seiner Meinung nach aus Lotte Hahm eine zu verfolgende Kriminelle machten: "Frl Hahm ist ausgeprägt pervers, sowohl in femininer wie auch Maskuliner Hinsicht" (sic).32 Hahm entsprach also weder in ihrer Weiblichkeit noch in ihrer Männlichkeit der Norm, die der Fahrer verstand und respektabel fand. Lotte Hahm wurde zu einer Geldstrafe und zu Gefängnishaft verurteilt: Es fehlen Quellen, vermutlich musste sie nicht einsitzen.

Die dargelegten Details aus den Strafakten führen zu einer Revision bisheriger Annahmen: Heimliche subkulturelle Treffen, eine Insel-Pension und verschiedene Zivilklagen legen als Indizien nahe, dass Lotte Hahm wohl nicht – wie von einigen Zeitzeuginnen angenommen und von der Forschung überlegt – Anfang 1935 oder später im Konzentrationslager (KZ) Moringen inhaftiert gewesen sein kann.33 Eine derartige (Straf-)Verfolgung wäre zudem sicher im beschriebenen (späteren) Betrugsverfahren gegen sie verwendet worden. Gleichzeitig bedeutet es, dass Hahm mit einer anderen lesbischen Frau, die im KZ interniert war, verwechselt worden sein muss.


Zur Lebenssituation ihrer Lebenspartnerin Käthe Fleischmann

Käthe Fleischmann verlor als antisemitisch Verfolgte im Jahr 1938 ihre gesamte ökonomische Existenzgrundlage und musste ab 1939 am Berliner Osthafen schwere körperliche Zwangsarbeit leisten. Dabei verletzte sie sich Ende 1941 den Fuß.34 Die medizinische Behandlung nach dem Unfall konnte sie nutzen, um zu entkommen. Auf ihrer Flucht, dazu noch mit einem vergipsten Knöchel, benötigte sie fortwährend neue Helfer*innen und Unterkünfte. Eine ihrer Fluchtbegleiterinnen war Ende 1941 auch Lotte Hahm, gleichwohl nur vorübergehend.35 Gehetzt und in wechselnden Verstecken überlebte Käthe Fleischmann mit Müh und Not die Nazi-Diktatur.

Spätestens seit Ende der 1950er Jahre gingen Hahm und Fleischmann getrennte Wege. Fleischmann starb 1967 im Alter von 67 Jahren in Berlin-Schöneberg. Hahm leitete nach Kriegsende erneut einen Lesbenklub; 1958 versuchte sie mit einigen anderen, den homosexuellen Bund für Menschenrecht aus der Weimarer Republik neu zu gründen.36 Sie starb ebenfalls 1967 77-jährig in Wannsee.

Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger (Bonn und Berlin, Juli 2021)

Zitiervorschlag:
Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Lotte (Charlotte) Hahm (1890-1967), Bonn, Berlin 2021. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane. URL https://www.lesbengeschichte.org/bio_hahm_d.html [cited DATE]




1 Die gelegentliche Genderung mit dem Asterisk soll konkrete geschlechtliche Annahmen der Kategorien "Frau" und "Lesbe" irritieren und so zur Destabilisierung der heteronormativen Zweigeschlechterordnung beitragen.


2 Siehe ausführlicher zu Lotte Hahm und zum aktuellen Forschungsstand (2021): Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967), in: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2021, S. 91-108, hier 93.


3 Das Mikroforschungsprojekt "Neue Spuren zu Leben und Wirken der Berliner Subkultur-Aktivistin* Lotte Hahm (1890-1967) und ihres persönlichen Umfelds" an der Hochschule Düsseldorf wurde freundlicherweise finanziert von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Fachbereich LSBTI, Laufzeit: 10-12/2018.


4 StadtA Dresden, 1083/1897. Herzlichen Dank für den Hinweis an Ralf Dose. – Joachim Karl Hahm heiratete am 11. September 1926 die Dresdner Buchhalterin Anna Klara Prätorius (1893-1963), ancestry.de, 23.7.2021.


5 Vgl. Adreßbücher für Dresden und seine Vororte 1913-1921.


6 Vgl. Adreßbücher für Dresden und seine Vororte 1913-1921.


7 Leidinger, Christiane: LSBTI-Geschichte entdecken! Leitfaden für Archive und Bibliotheken zur Geschichte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Wege zur Identifizierung und Nutzung von relevanten Quellenbeständen Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1970er Jahre. Hg. von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Berlin 2017, S. 23.


8 Frauenliebe, 1927, Nr. 52. – Vgl. Schader, Heike: Die Gemeinschaft frauenliebender Frauen in den 1920er Jahren in Berlin – eine soziale Bewegung?, in: Pretzel, Andreas; Weiß, Volker (Hg.): Politiken in Bewegung: Die Emanzipation Homosexueller im 20. Jahrhundert (Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, 5), Hamburg 2017, S. 117-144, hier 135.


9 Vgl. Die Freundin, 1930, Nr. 43.


10 Zum Begriff "Lesbe" in der Geschichte: Leidinger, Christiane; Boxhammer, Ingeborg: "Lesbian like" Geschichte – Vom Wettstreit richtiger Bezeichnungen, Verdächtigungen, Lesbensex und einer Vermisstenanzeige, in: AutorInnenkollektiv Loukanikos (Hg.): History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft, Münster 2015, S. 144?159, Online: https://historyisunwritten.wordpress.com/history-is-unwritten-als-pdf/, 23.7.2021.


11 Hahm, Lotte: Klubnachrichten über Violetta. Korrespondenz-Zirkel, in: Die Freundin, 1929, Nr. 5. – Siehe auch die Auflistung bisher bekannter Texte von Lotte Hahm unter https://www.lesbengeschichte.org/material_hahm_d.html.


12 Hahm, Lotte: Klubnachrichten über Violetta. Korrespondenz-Zirkel, in: Die Freundin, 1929, Nr. 5.


13 Ledige Frauen, 1929, Nr. 7.


14 Hahm, Lotte; Radszuweit, Friedrich: Aufruf an alle gleichgeschlechtlich liebenden Frauen, in: Die Freundin, 1930, Nr 22.


15 Liebende Frauen, 1928, Nr. 7.


16 Kroneberg, [Käte]: Bericht über die Transvestitenversammlung, am 11. Oktober Gründung einer Transvestitengruppe, Berlin, in: Die Freundin, 1929, Nr. 18.


17 Siehe dazu auch Herrn, Rainer: Schnittmuster des Geschlechts. Transvestitismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft, Gießen 2005, S. 153.


18 Ähnlich Marhoefer, Laurie: Sex and the Weimar Republic. German Homosexual emancipation and the rise of the Nazis, Toronto 2015, S. 62.


19 Breger, Claudia: Feminine Masculinities: Scientific and Literary Representations of "Female Inversion" at the Turn of the Twentieth Century, in: Journal of the History of Sexuality, 2005 (1/2), pp. 76-106. – Im Singular, mit dem Verweis auf Formen, Halberstam, Judith: (2005 [1998]). Female masculinity, Durham 2005 [1998] (5. Aufl.), u. a. S. 46f., vgl. Sutton, Katie: The masculine woman in Weimar Germany, New York, Oxford 2013 [2011], S. 13.


20 Möglicherweise war Hahm auch in normative Diskussionen über "virile" und "feminine" "Typen", "Rollen" und "Handlungsmuster" involviert, Schader, Heike: Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre, Königstein/Taunus 2004, S. 107-117, 122-126.


21 Es ist nicht überliefert, wie Hahm jenseits der Klubs aufgetreten ist und auf gegenderte Einordnungen durch Unbekannte reagierte. Sollte sie auf der Straße Hose und Jackett oder ähnliches getragen haben, ging sie das Risiko ein, nach § 183a RStGB angezeigt und belangt zu werden. Ob sie – wie Jens Dobler überlegt (Dobler, Jens: Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain, Berlin 2003, S. 114) – einen sog. Transvestitenschein besaß, der ein sexualwissenschaftliches Gutachten vorausg esetzt hätte, muss offen bleiben.


22 Die Freundin, 1930, Nr. 35.


23 Hahm, Lotte: Mondschein-Dampferpartie von "Violetta", in: Die Freundin, 1930, Nr. 27.


24 Die Freundin, 1931, Nr. 32.


25 Landesarchiv Berlin (im Folgenden: LAB) A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 1. – Weitere Informationen zu Käthe Fleischmann Entschädigungsakte Katharina Käte Fleischmann (im Folgenden: E-Akte) Nr. 4159, LABO Berlin.


26 Hahm, Lotte: Geschäftliche Mitteilungen, in: Die Freundin, 1932, Nr. 17.


27 Vgl. Hahm, Lotte: Japan in Berlin, in: Die Freundin, 1930, Nr 15. – Herzlichen Dank für den Hinweis auf das Exponat zu Walt Carmer an Karl-Heinz Steinle. – Zu Toni Ebel siehe Wolfert, Raimund: "Sage, Toni, denkt man so bei euch drüben?" Auf den Spuren von Curt Scharlach alias Charlotte Charlaque (1892 -?) und Toni Ebel (1881-1961), Berlin 2015, https://www.lesbengeschichte.org/bio_charlaque_d.html.


28 Vgl. Boxhammer, Ingeborg: Lea Manti (1886-1960): "die nicht nur auf weibliche Kleidung, sondern auch auf den kleinen Fingern pfeift" – Eine neue Annäherung an Leben und Werk der Kunstpfeiferin, Bonn 2020, https://www.lesbengeschichte.org/bio_manti_d.html.


29 LAB A Pr Br. Rep 030-02-05 Nr. 106, Bl. 4. – Walter Rosen wurde 1935 aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen, 1943 ins KZ Auschwitz deportiert und dort ermordet, https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002227, 10.7.2021.


30 LAB A Pr Br. Rep 030-02-05 Nr. 106, Bl. 4-5; alle Sportclub-Infos zuerst bei Dobler, Jens: Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain, Berlin 2003, bes. S. 113f.


31 Zu Denunziationen Boxhammer, Ingeborg / Leidinger, Christiane: Sexismus, Heteronormativität und (staatliche) Öffentlichkeit im Nationalsozialismus. Eine queer-feministische Forschungsperspektive auf die Verfolgung von Lesben und/oder Trans* in (straf-)rechtlichen Kontexten, in: Schwartz, Michael (Hg.): Homosexuelle im Nationalsozialismus: Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen 1933 bis 1945, München/Wien 2014, S. 93-100.


32 LAB A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 1.


33 Vgl. z. B. Schoppmann, Claudia: Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im "Dritten Reich", Frankfurt/M. 1998 [1993], S. 56f.


34 E-Akte, Nr. 4159, M 5.


35 E-Akte, Nr. 4159, C4: Rückschluss aus den Angaben von Zeitzeuginnen.


36 Vgl. z. B. Schoppmann, Claudia: Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im "Dritten Reich", Frankfurt a.M. 1998 [1993], S. 56 f.








Früherer Text (2004) von Heike Schader:

Lotte Hahm wurde neben Selli Engler und Charlie von Franz Scott eine herausragende Position als Gründerin bescheinigt.1 Auf Fotografien ist sie stets in männlicher Kleidung abgebildet. Ab 1926 war sie Leiterin des Damenklubs „Violetta“ mit 400 Mitgliedern, 1929 leitete sie die „Vereinigung Monbijou“. Im Oktober 1929 wurden „Violetta“ und „Monbijou“ per Mitgliederabstimmung vereinigt.2 Außerdem gründete und führte sie die „Monokel Diele“ und die „Manuela Bar“3. Lotte Hahm war seit 1928 Leiterin der Damengruppe des BfM. 1930 rief Lotte Hahm auf zur Gründung des Bundes für ideale Frauenfreundschaft.4 Lotte Hahm verfasste über Jahre die Klubnachrichten vom „Violetta“. Zuerst in der Frauenliebe und ab Januar 1929, nach dem Anschluss des „Violetta“ an den BfM, in den Ledigen Frauen und in der Freundin.


1929 gründete sie die Transvestitenvereinigung D`Eon, in der männliche und weibliche Transvestiten vertreten waren. Laut Katharina Vogel leitete Lotte Hahm diese Gruppe von 1929–1930.5 Ein erster Aufruf erschien 1929 in der Zeitschrift Ledige Frauen: „Transvestitengruppe: es hat sich ein Privatzirkel von Transvestiten gebildet, welche sich jede Woche in der Wohnung der Klubleiterin treffen. Hieran können sich noch einwandfreie Transvestiten beteiligen.“6 Offensichtlich fand diese Gruppe großen Zuspruch. Denn bereits wenige Wochen später, in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Ledige Frauen, wurde ein neuer Treffpunkt angekündigt: „Die große Nachfrage nach unserem Privatzirkel für Transvestiten hat uns veranlasst, eine größere Wohnung mit Tanzgelegenheit zu mieten, wo wir genauso ungeniert uns bewegen und umziehen können, wie es vordem möglich war.“7 Röllig berichtete dann später, dass diese Gruppe eigene Tanzveranstaltungen im Damenklub „Violetta“ ausrichtete: „Eine Besonderheit dieses Klubs ist die Gruppe der Transvestiten, der Frauen, die mit Vorliebe in Männerkleidern erscheinen. Man veranstaltet hier programmäßig sogenannte ,Transvestiten-Abende‘.“8 Regelmäßige Berichte der Vereinigung gab es in der folgenden Zeit in der Freundin. Daneben finden sich einige Sachtexte zum Thema Transvestitismus9. Literarische Texte veröffentlichte sie wohl nicht.


Ähnlich wie Selli Engler engagierte sich Lotte Hahm mit viel Elan für subkulturelle Orte der Unterhaltung wie auch für die politische Organisation der homosexuellen Frauen.


Geboren wurde Lotte Hahm am 23.05.1890 in Dresden. Irgendwann zwischen 1933 und 1935 wurde Lotte Hahm verhaftet. Anfang 1933 vom Vater ihrer Freundin der Verführung Minderjähriger angeklagt, kam sie ins Gefängnis.10 Anfang 1935 wurde sie in das Frauenkonzentrationslager nach Moringen verlegt. Über den eigentlichen Haftgrund ist nichts bekannt, da die Lagerdokumente verloren sind. Spätestens im März 1938 wurde sie entlassen. Sie organisierte weiter Treffpunkte für homosexuelle Frauen. „Vor dem Krieg hatte auch Lotte Hahm noch etwas aufgemacht, am Alexanderplatz in dem Lehrervereinshaus im ersten Stock. Früher war da mal ein Tanzcafé; das hatte Lotte Hahm gemietet, und dort hat sie Frauenabende gemacht. Das ging aber auch nicht lange gut.“11 Nach 1945 leitete sie wieder einen Frauenklub. 1958 gehörte Lotte Hahm zu einer Gruppe, die versuchte den Bund für Menschenrechte neu zu gründen.12 Sie verstarb vermutlich kurze Zeit später.



Heike Schader (2004)


Aus: Schader, Heike: Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre. Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2004, S. 76f.





1 Glückwünsche zum Geburtstag von Charlotte Hahm gab es auch in der Neuen Freundschaft: „...eine unserer bekanntesten und populärsten Führerinnen in der Berliner homoerotischen Frauenbewegung“. In: Rundschau: Neue Freundschaft Juni 1928, Nr. 21, S. 4.


2 Lotte Hahm: Bericht über die Mitgliederversammlung vom „Violetta“. Freundin 1929, Nr. 17. Ausfürhlich zu den Umständen und den folgenden Querelen zwischen Lotte Hahm und Kati Reinhardt auf der einen und dem DFV auf der anderen Seite: Jens Dobler: Von anderen Ufern, S. 109–112.


3 Lotte Hahm: Geschäftliche Mitteilungen. Freundin 1932, Nr. 6. In dieser Anzeige teilte Lotte Hahm die Eröffnung der „Manuela Bar“ mit. Eröffnungsfeier war am 09.02.1932.


4 Lotte Hahm: Bund für ideale Frauenfreundschaft. Freundin 1930, Nr. 19.


5 Katharina Vogel, Zum Selbstverständnis lesbischer Frauen in der Weimarer Zeit. S. 167. In der Garçonne 1932, Nr. 18, tauchte unter den Mitteilungen des Deutschen Freundschafts-Verbandes die Vereinigung D‘Eon erneut auf. Vermutlich ist wiederum oder immer noch Lotte Hahm die Leiterin der Gruppe.


6 O. A.: Klubnachrichten über „Violetta“. Ledige Frauen 1929, Nr. 7.


7 Ebd.


8 Adele Meyer, S. 74 ff.


9 Z. B. Lotte Hahm: Sexualempfinden und Umkleidungstrieb der Transvestiten. Freundin 1930, Nr. 18.


10 Claudia Schoppmann berichtet, dass Lotte Hahm bereits Anfang 1933 vom Vater ihrer Freundin der Verführung Minderjähriger angeklagt wurde und ins Gefängnis kam. Claudia Schoppmann: Nationalsozialistische Sexualpolitik, S.166. Jens Dobler kann noch bis 1935 Aktivitäten Lotte Hahms als Veranstalterin nachweisen. Jens Dobler, Von anderen Ufern, S. 113–114.


11 Claudia Schoppmann: Zeit der Maskierung. Abdruck in Lespress 01/1999.


12 Jens Dobler, Von anderen Ufern, S. 228.